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LO.LA Gastbeitrag

Mit dem Gastbeitrag von Hanspeter Eisendle möchten wir uns an die RAS24, die am 03. Oktober 2024 stattgefunden hat und zudem die 10 Jahresfeier der LO.LA war, erinnern und mit viel Elan ins Jahr starten.

Hanspeter Eisendle

Bergführer, Kletterer

Liebe Leser:innen,

Meinen Rückblick muss ich zunächst sehr persönlich machen, auch weil mein Bergsteigen zu Beginn mit dem Alpinismus an sich wenig zu tun hatte – nicht einmal mit den Bergen selbst. Meine Eltern sind beide an Berghängen aufgewachsen und haben sich später für ein vermeintlich besseres Leben in der Kleinstadt Sterzing entschieden. An jedem freien Tag sind sie jedoch mit meiner Schwester und mir in ihr natürliches Habitat gezogen, auf die umliegenden Almen und Wälder, wo ich sie entspannter, freier und selbstbestimmter erlebte als im Tal. Da meine Mutter und meine ältere Schwester ihre Obhut im Doppelpack über mich legten, musste in meiner kindlichen Logik der Ort meiner Selbstbestimmtheit noch weiter oben sein, weit oberhalb der Waldgrenze und weit oberhalb der Almen, wohin ich dann auch oft für Stunden verschwand.

Dieses instinktive Aufsuchen von alpinem Rückzugsraum und notgedrungen auch Erfahrungsraum hat sich später noch intensiviert, als ich schon von zu Hause aus alleine loszog, um alle umliegenden Berge durch ihre Besteigung zu einer Art inneren Landkarte zusammen zu fügen. Dazu muss man wissen, dass mein Heranwachsen in die Zeit der Südtiroler Bombenjahre fiel, in der alle Hütten und Wege an den Grenzbergen zu Nordtirol bis ca. 1970 relativ streng bewacht und kontrolliert wurden.

Daraus ergab sich eine dreifache, selbst gestellte Aufgabe:

  • Zum einen durfte ich von den Grenzwachen nicht erwischt werden, was mich oft in sehr schroffes und gefährliches Gelände zwang.
  • Zum anderen durften meine Eltern nichts davon wissen, weil sie sich berechtigter Weise große Sorgen gemacht hätten.
  • Das Allerwichtigste war für mich aber, dass meine Freunde nichts davon wussten, weil bergsteigen damals als reaktionär galt. Der mit Filzhut und Knickerbocker wild gestikulierende Luis Trenker war das öffentliche Muster dafür und so wollte ich nicht sein. Ich fühlte mich eher als Rolling Stone, der seine geheime Bahn durch die umliegenden Berge zog. Durch das Balancieren auf den Graten entstand eine Art inneres Gleichgewicht, das auch beim Ausführen schulischer Aufgaben und familiärer Verpflichtungen half.

Durch zufällige Begegnungen mit erwachsenen Bergsteigern und durch die Entdeckung des einen oder anderen Bergbuches erfuhr ich langsam, dass es Bergsteiger gab, die zu Helden wurden und dass das Ganze Teil mitteleuropäischer Kultur war. Zukünftig suchte ich mir meine Bergziele nach ihrer Ersteigungsgeschichte aus – Rebitsch, Buhl, Messner waren die Vorgaben – und entdeckte dabei auch, dass Alpinismus, wie die Kunst und das Fußballspielen etwas völlig Nutzloses war.

Hanspeter Eisendle | (c) Hanspeter Eisendle

Das gefiel mir!

Begonnen wurde dieses Spiel jedoch von verwöhnten britischen Industriellen, die in der Verwaltung des von ihren Arbeitern und von ihren Maschinen erwirtschafteten Kapitals zu wenig Lebensherausforderung sahen, dadurch aber über die finanziellen Mittel verfügten, sich Wochen- oder Monate lang in den Alpen aufhalten zu können. Mit der Erstbesteigung des Matterhorns 1865 gelangte das Bergsteigen erstmals in der Geschichte in die weltweite Tagespresse. Durch den tödlichen Absturz fast der Hälfte der siebenköpfigen Seilschaft beim Abstieg entbrannte mediale Ablehnung und Bewunderung. Polarisierung war immer schon die beste Ingredienz, um Themen ganz vorne zu platzieren.

Somit war Alpinismus mitten in der Gesellschaft angekommen. Dazu kamen später sensationelle Berichte über heroische Eroberungen, beispielsweise die von Emilio Comici an der Gr. Zinne Nordwand und allen voran der koloniale Kampf um die Gipfel der 8.000er. Annapurna den Franzosen, K2 den Italienern, Everest den Engländern und der Nanga Parbat den Deutschen. Dass die ersten auf dem Everest ein Nepali und ein Neuseeländer waren und der erste auf dem Nanga Parbat ein Österreicher, ging im nationalen Rausch fast unter.

Dieser kollektive Rausch wurde dann später von den Egotrips der Messners – meine Fahne ist mein Taschentuch-, der Doug Scotts, der Jim Bridwells und der Heinz Mariachers abgelöst. Nicht mehr das Was stand allein im Vordergrund sondern vor allem das Wie. Slogans wie Alpinstil, Verzichtsalpinismus, Rotpunktbesteigungen und Freesolos haben den Journalismus und die breite Öffentlichkeit verwirrt und es wurde für außen Stehende zusehends schwieriger, zwischen gut und besser zu unterscheiden.

Auch deshalb haben findige Unternehmer aus der Szene den messbaren Wettkampfsport entwickelt. Zunächst an Felswänden, dann an künstlichen Kletterwänden und in der Folge auch an Eistürmen.

Unter den traditionellen Bergsteigern hingegen haben sich öffentlich nur jene durchgesetzt, welche die Kunstform des Erzählens beherrschten.

Hanspeter Eisendle | (c) Benjamin Pfitscher

Was nicht messbar ist, muss erzählbar sein!

Diese für den Alpinismus wichtige Erzählkunst reicht vom kleinen Kreis am Stammtisch über gefüllte Vortragssäle bis hin zur großen Kinoleinwand.

Und hier bin ich bereits beim Ausblick in die Zukunft angelangt, der wahrscheinlich mehr ein Seitenblick sein wird, weil ich über keinerlei visionäre Fähigkeiten verfüge und weil ganz oft alles anders kam, als ich es mir ausgedacht hatte.

Die Begegnung mit vielen jungen Bergsteigern und Kletterern aus vielen Teilen der Welt lässt mich persönlich – im Gegensatz zu Reinhold Messner – nicht daran zweifeln, dass der elitäre traditionelle Alpinismus auch in die Zukunft getragen wird. Was für die jungen Protagonisten schwieriger sein wird als bisher, ist die öffentliche Darstellung, die ihnen und ihrem Tun gerecht wird. Es gibt mittlerweile Zehntausende von Menschen, die an überhängenden Wänden klettern, die die höchsten Berge aller Erdteile besteigen, die atemberaubende Leinen zwischen den Gipfeln spannen und von diesen in Windeseile zu Tale paragliden. Das alles wird mit immer raffinierteren Techniken zu Bildern verarbeitet, bei denen sich sogar Insider schwertun, Influence von Inhalt zu unterscheiden – visuell zumindest. Diese fantastischen, meist der Oberfläche verpflichteten Bilder, gepaart mit der Leere, die die Corona-Zeit hervorgerufen hat, hat sich die Zahl der Menschen, die in irgendeiner Form ins Gebirge streben vervielfacht. Große Teile der Dolomiten sind mittlerweile das neue Venedig, – das neue Barcelona!

Aber lang nicht alle begnügen sich mit dem Shooting am Pragser Wildsee oder mit dem Motiv vom Villnösser Ranuimüller-Kirchlein Richtung Geislerspitzen. Ganz viele – eine Unzahl von körperlich überdurchschnittlich fitten Menschen – streben nach der Alternative Bergerlebnis. Nur fehlt es ganz oft an Bergwissen, es fehlt an alpinistischer Kultur.

Unwissenheit gepaart mit körperlicher Fitness ist im Gebirge die giftigste aller Mischungen.

Und spätestens hier kommt die hübsche LO.LA ins Spiel, auf die im zarten Alter von 10 Jahren diesbezüglich eine Mammutaufgabe zukommt. Die lokale Lage hat sich nämlich seit einiger Zeit um ein Problem erweitert: Dem urbanen Menschen im ampelfreien Gebirge! Es wird in Zukunft,- neben eurer Kooperation mit Lawinenkomissionen, mit Wegebauern, mit Metereologen, mit Glaziologen, mit Bürgermeistern und Gemeinderäten, – eine immense Aufgabe werden, die Kultur des „auf die Berge Steigens“ bis in alpenferne Städte zu verbreitenmit allen euch zur Verfügung stehenden Mitteln. Ich sehe LO.LA in Zukunft vor allem als vielschichtige Mediatorin zwischen Bergbewohnern und den vielen urbanen Besuchern, von denen wir ausnahmslos alle auch in Zukunft profitieren werden. Wollen wir nicht weiterhin in der Piefke-Saga verharren oder gar in populistische Ausgrenzung verfallen, dann wird das touristische Thema der Zukunft DAS BERGSTEIGEN in all seinen Formen sein müssen. Welch eine Bereicherung für Besucher und Besuchte, wenn LO.LA sich um vertiefte Auseinandersetzung bemüht, um das, was uns wirklich beschäftigt, um das, was uns Angst macht und um das, was die Bergwelt für uns bedeuten kann, wenn wir sie vermehrt belassen, wie sie ist und wie sie sich wandelt.

Sicherlich haben wir, vor allem wir Bergsteiger selbst, im Laufe der Geschichte aus der ursprünglichen Wildnis Alpen fast zu 100 % einen Kulturraum geschaffen. Umso wichtiger ist es jetzt, diesen neuen Kulturraum als solchen zu erhalten und zu verteidigen.

Wenn ich meinen Jubiläumswunsch an LO.LA in einen Gedanken fassen müsste, dann wäre es jener, dass es LO.LA mit ihrem vielschichtigen Tun gelingen möge, die Menschen mehr an die Berge anzupassen als die Berge an die Menschen.

Liebes LO.LA Team, diesen Wunsch sehr ernst nehmend möchte ich mit einem schließen:

Du hast keine Chance, aber nutze sie!

Herbert Achternbusch

In diesem Sinne viel Erfolg und gutes Gelingen für die nächsten 10 Jahre.

Hans-Peter Eisendle (Bergführer) - Gastredener zum Thema Gedanken zum Mitnehmen | © LO.LA